„Die wahre Kunst ist nicht ‚Können,‛
sondern ‚nicht
anders können.‛ “
Ich kann sprechen. Ich kann
kochen. Ich kann aufstehen und etwas trinken.
Wir sprechen das Wort jeden Tag
aus. Ich kann. Können ist ein zentraler Begriff der Menschheitsgeschichte. Ohne
Können gäbe es keine Kultur, ohne Können würden wir verhungern. Der etwas
ältere Kunsthistoriker und Philosoph, neben mir sitzend, flüstert mir ins Ohr:
„Aideen, Kunst kommt von „Können.““ Und ich sage: „Nein, Meister, Paul hat
Recht.“
Ist denn Sprechen, Kochen, Aufstehen
oder Trinken Kunst? Natürlich ist jeder menschliche Gedanke, jede unserer
Bewegungen eine Kunst, eine Wissenschaft für sich. Denn schließlich ist „jeder Mensch
ein Künstler“ (vgl. Beuys), in dem, was er besonders gut kann.
Doch kehren wir zu der sg. „wahren
Kunst“ zurück. Der Kunst, die Geschichte schreibt, Meinungen von Tausenden zu
beeinflussen vermag, Kunst, die in den Erinnerungen der Betrachter bleibt oder,
noch besser, sie ins Auge sticht. „Kunst ist das, was man gesehen haben muss.“ (Janos
Papp) Kunst verändert uns, schult unsere Wahrnehmung, regt zu Diskussionen oder
Streitereien an, bringt uns weiter, ruft zum Nachdenken auf, berührt uns, ekelt
uns an…
Paul bringt das auf den Punkt.
Der wahre Künstler kann nicht anders. Er steht auf und das erste, was er denkt
steht im Zusammenhang mit seiner Kunst. Der Drang, sich künstlerisch zu
betätigen, zwingt ihn aufzustehen und ohne den morgendlichen Tee anzufangen. Es
ist ein äußerst natürlicher Drang, ein Drang, bis zur Wahrheit vorzudringen und
sich selber neu zu entdecken. Ein Drang, Dinge sichtbar zu machen, für die
seine Mitmenschen blind sind. (vgl. Klee) Eine Leidenschaft, die uns vor keine
Wahl, sondern vor eine klare Tatsache stellt: Du musst.
Ein Künstler ist der, der ohne
seine Zeichnungen, seine Gedichte und seine Lieder eingehen würde wie eine
Orchidee in der Wüste. Die Hingabe ist es, die ihn zum Künstler macht. Ein
Künstler arbeitet nie halbherzig an
seinen Werken, er gibt sich für sie auf, er ist bereit zu leiden und sich
quälen zu lassen, weil er schlicht und einfach nicht anders kann.
Ein Künstler ist wie ein
unglaublich langer brennender Ast. Es gibt immer Gegner, die neidisch sind oder
ihn hassen, die kommen dann mit Kübeln voller Wasser an, doch der wahre
Künstler brennt so sehr, dass das Wasser in Sekundenschnelle verdunstet. Dieses
Feuer kommt ursprünglich von Innen und wird von äußeren Einflüssen, von
Lehrern, von Erfahrungen, von Beziehungen oftmals noch bestärkt.
Inneres Feuer, Leidenschaft, das
Gefühl, für die Kunst bestimmt zu sein, für sie leben oder sterben zu müssen,
das sind meiner Ansicht nach die entscheidenden Eigenschaften. Natürlich kann
man Grundlagen gewisser künstlerischer Techniken erlernen, doch nicht jeder
Zeichner, Maler oder Schriftsteller kann gleichzeitig als Künstler bezeichnet
werden.
Der Künstler, so wie ich ihn zu
sehen und über ihn zu berichten wage, ist mit einem genauestens sehenden und schnellstens
beurteilenden Auge ausgestattet. Dies Auge erlaubt ihm keine Ruhepause, es ist
stets am Beobachten und zwingt ihn, das Gesehene aufzuzeichnen. Mit diesem Auge
wird man wohl geboren. Man kann es sicherlich schulen, doch solange das innere
Feuer nicht vorhanden ist, mein lieber Philosoph, hilft ihm jegliches Können
leider kaum.
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